Untold Stories: Das Wunder in der Wüste

Unser Reisejournalist Christian Bauer erlebt viele Geschichten, die es nicht in seine Reportagen schaffen. In der ersten Folge der «untold stories» nimmt er uns mit auf seine allererste Reise in die Wüste, damals Ostern 1977.

Untold Stories: Das Wunder in der Wüste

Zum Reisenden wurde ich mit vier Jahren. Damals Ende der 70er Jahre zogen wir ins nordafrikanische Libyen, wo mein Vater als Ingenieur den Bau einer Zementfabrik leitet. Vom Reihenhaus mit Jägerzaun gings in die grosse weite Welt.

Das Wegziehen fiel mir nicht schwer, hatte ich doch am neuen Ort ungeahnte Freiheiten. Ich musste keinen Kindergarten besuchen und konnte stattdessen mit meinen arabischen Freunden stundenlang herumtollen. Unbelästigt von allen pädagogischen Zielen konnte ich die neue Welt entdecken. Es gab nur eine goldene Regel: «Wenns dunkel wird, bist du zuhause»!

Meine mitgebrachten Spielsachen wurden schnell langweilig. Stattdessen bastelten wir aus Draht und Konservendosen Spielzeugautos, suchten bei Ebbe nach Seesternen (wir wohnten nur wenige duzend Meter vom Mittelmeer entfernt) und gingen mit unseren Velos auf Entdeckungsfahrten. Das Leben war schön. Das Leben war Freiheit. Vielleicht so wie jede Kindheit sein sollte. Doch es gab Dinge, die ich vermisste: Gummibärchen, Glacé, Wurst und Schoggicreme. Eben jenes Bekannte, welches durch den Magen direkt ins Herz geht.

Dazu gehörte natürlich auch die Ostertraditionen mit all ihren Leckereien, denn in einem islamischen Land sind weit und breit keine Gelee-Eier und Schokoladenhasen zu finden. Meine Mutter breitete mich rechtzeitig auf das Unausweichliche vor: «Der Osterhase kommt sicherlich nicht über das grosse Meer hierher». Ich verstand den Osterhasen, den weiten Weg ins neue Zuhause hatte ich ja selbst erlebt.

«Fahre in die Welt hinaus. Sie ist fantastischer als jeder Traum»

Ray Bradbury

Foto: TravelBistro

Nun geschah es, dass uns just über die Osterfeiertage Freunde besuchten. Und natürlich stand eine mehrtägige Tour zu den Dünenfeldern und Oasen in der Sahara an. Und obwohl schon damals die wichtigsten Verbindungsstrassen zwischen den Wüstenstädten asphaltiert waren, bereitete sich mein Vater vor wie ein Entdeckungsreisender: Vorräte, Benzinkanister und Wasser verstaute er in den zwei Autos, mit denen wir aufbrachen.«Man weiss nie, wann ein Auto vorbeikommt, wenn wir liegen bleiben».

Liegen blieben wir schon nach wenigen Stunden: Ein Metallsplitter hatte sich in einen Reifen gebohrt und nun fuhren wir ohne Ersatzrad durch die Weite. Nicht gut, das verstand ich. In meiner Erinnerung war ich es, der ein Unfallwagen gleichen Typs mit zwei intakten Reifen am Strassenrand entdeckte. Wir montierten sie ab und verstauten sie im Kofferraum. Wow – welch ein Abenteuer diese Reise war. Das grösste Abenteuer, das ich in meinem jungen Dasein erlebt hatte.

Einer unserer Stopps führte uns in die Wüstenstadt Sabbah, in der wir in einem Hotel übernachteten. Das erste Hotel meines Lebens. Am nächsten Morgen kam meine Mutter vom Einkaufen zurück und sagte, sie hätte eine Stelle gefunden, wo sicherlich viele Schildkröten, meine Lieblingstiere, lebten. Wir sollten sofort aufbrechen. Meine Mutter führte uns zu einem Palmenhain und ich begann sofort in den Büschen nach Schildkröten, Echsen und Chamäleons zu suchen. Was ich fand, war allerdings das grösste Wunder, welches sich ein kleiner Knopf vorstellen konnte: Osternester mit meinen liebsten Schleckereien.

«Mamaaaaa! Der Osterhase war da»! 

«Er ist nur für Dich in die Wüste gekommen», lächelte sie.  

Nur für mich! Der Vierjährige war zutiefst gerührt. Und der Erwachsene dankt dem Osterhasen auch noch 40 Jahre später, dass er den weiten Weg übers Mittelmeer auf sich genommen hat.

Ob meine Mutter daran Anteil hatte, ist mir aber bis heute ein Rätsel geblieben…       

Foto: TravelBistro

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