Das Mendrisiotto – Ein verkanntes Juwel

Das Mendrisiotto kennen viele nur von der Autobahn Richtung Süden. Doch jenseits der Verkehrsadern versteckt sich ein liebreizendes Ferienziel für den Herbst. Und eine Region, wo man den Wein zelebriert.

Das Mendrisiotto – Ein verkanntes Juwel

Die Ossobucci sind wie ein Orchester auf der Zunge. Eine Symphonie aus Geschmäckern so lieblich, rau und spannend wie das Tessin. Kein Wunder, das typische Gericht vom Kalb hat ganze zwei Stunden bei sanfter Hitze geköchelt. Alleine dafür lohnt die Reise zur Osteria Manciana in Scudellate im letzten Zipfel der Schweiz. Südlicher geht es kaum: Nach ein paar Schritten kommt Italien.

Im Dörfchen Scudellate im Muggio-Tal an der Flanke des Monte Generoso war nie viel los. Heutzutage, in Zeiten der Landflucht, ist die Einwohnerzahl auf 20 Menschen geschrumpft. Vieles würde hier verfallen, hätten nicht engagierte Bewohner ein ethnographisches Museum ins Leben gerufen und wichtige Zeugnisse des kargen Lebens im Tal restauriert: Mühlen, Türme zur Vogeljagd und Nevère, künstliche Schneekeller, die Kühlschränke aus Urgrossvaters Zeiten.

Foto: TravelMazazin

Das Mendrisiotto bietet viele Überraschungen

Bei einer Wanderung kann man die historischen Gebäude besichtigen und anschliessend zu Mario Bottas neuem Gipfelrestaurant auf dem Monte Generoso hochsteigen. Das Valle di Muggio im Mendrisiotto ist ein Paradebeispiel für Ruhe und Abgeschiedenheit. Und eine grosse Überraschung.

Denn nur wenige Kilometer weiter verschandeln Autobahnen, Shopping-Center und Fabrikhallen die Idylle. Das Mendrisiotto zwischen dem Luganersee und Italien ist eine Durchfahrregion. Der erste Eindruck: Hübsch hässlich ist es hier. Doch wer sich Zeit nimmt, entdeckt eine liebreizende Ferienregion, ein Tessin in Miniaturformat: Malerische Altstädte mit einem Hauch Italianità, Weitblicke auf Alpen und Poebene vom Monte Generoso, Seedörfchen und Museen von europäischer Bedeutung, wie das Museum des Bildhauers Vincenzo Vela in Ligornetto. Das Werk, des teilweise in Turin tätigen Vela, besteht aus Plastiken berühmter Persönlichkeiten, die insbesondere in italienischen und französischen Städten zu sehen sind.

«Viele Deutschschweizer kennen das Mendrisiotto nur von der Autobahn», erläutert Carlo Crivelli (53) betrübt. «Dabei haben wir so viel zu bieten». Der Weinhändler kämpft mit seiner kleinen Ausflugs-Agentur «Mendrisiotto Terroir» gegen das Schmuddel-Klischee. «Besonders im Herbst lohnt ein Besuch. Dann schillern die Weinberge der Region in allen Nuancen von Indischgelb bis Krapprot», ist Crivelli überzeugt.

Mithilfe bei der Weinlese im Mendrisiotto

Überhaupt ist dieser Tage der Wein das Thema schlechthin. Immerhin kommen 40 Prozent der Tessiner Weinproduktion von hier. «Wer die Seele des Mendrisiotto verstehen will, muss in die Welt des Weines eintauchen», verkündet Crivelli und steuert einen Weinberg beim Örtchen Coldrerio an. Dort ist Winzer Enrico Trapletti in seinem besten Weinberg mit der Lese beschäftigt. «Gut, dass ihr kommt! Wir können jede Hilfe gebrauchen».

Und kaum dass wir uns versehen, halten wir eine Schere in der Hand und zwacken Merlot-Trauben ab. Mit dabei sind Verwandte und Freunde. Die Weinlese war schon immer ein gesellschaftliches Event.

Foto: Travel Magazin

Trapletti ist der Shootingstar der lokalen Winzerszene. Der Autodidakt hat schon manche Preise eingeheimst. Wir haben Glück: Heute ist der letzte Tag der Lese und das wird traditionell mit einem Festa gefeiert. Kaum sind die letzten Beeren verladen, werden im Weinberg Tische und Bänke aufgestellt, Spare Rips auf den Grill geworfen und Weinflaschen geköpft. Nach zwei Wochen harter Arbeit ist die Stimmung ausgelassen, der Wein lockert die Zungen, es wird fachgesimpelt und Zoten gerissen und manch Lied geschmettert.

«Ist das nicht schön? Das ist die Lebenslust des Mendrisiotto», strahlt Crivelli und bietet mir kostenlos seine Ferienwohnung an. «Wenn du dich mal entspannen willst».

Mein persönliches Fazit

Ich gebe zu: im Mendrisiotto habe ich nie angehalten. Zwischen Lugano und italienischer Grenze kannte ich das Land nur vom Durchfahren. Ich war sehr positiv überrascht, was es hier nebst den Weinerlebnissen zu entdecken gibt. Ganz klar: Ein Stopp – auch für mehrere Tage – lohnt sich.

Travel Basics

Hinkommen Das Mendrisiotto ist leicht mit der Bahn zu erreichen. Wer allerdings auch abseits der grossen Verkehrsachse unterwegs sein will, sollte mit dem eigenen Auto anreisen.

Geführte Touren Carlo Crivelli bietet mit der Agentur «Medrisiotto Terroir» massgeschneiderte Touren mit dem Fokus auf Kultur, Geschichte und Wein im Mendrisiotto an.

Informationen: Mendrisiottoturismo, Mendrisiottoterroir, Ticino

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